Fotos: Sebastian Schels

--- Es muss dem Menschen dienen ---

 


Senioren ins Zentrum!
Foto: Susi Knoll

Garmisch-Partenkirchen steht für Berge, Urlaub und bayerische Dorfidylle. Neben der Eigenschaft als Touristen-Magnet ist die Gemeinde aber auch Heimat für viele Senioren: Gut ein Drittel der Einwohner ist über 55 Jahre alt. Vor welche besonderen Herausforderungen das die Stadtentwicklung stellt und wie Garmisch-Partenkirchen im Spannungsfeld von Luxus-Urlaubern und Altersarmut ihren ganz ­eigenen Weg findet, erzählt die Bürgermeisterin Elisabeth Koch. Dank einer Spende der LongLeif-­Stiftung über 57 Millionen Euro hat Garmisch-Partenkirchen zuletzt ein engagiertes und einzigartiges Seniorenprojekt mitten im Herzen der Gemeinde umgesetzt – ein Startschuss für weitere Vorhaben 
für Menschen im Dritten Alter.


 

Foto: Sebastian Schels

Frau Koch, können Sie uns ein wenig über die Demografie in Garmisch-Partenkirchen erzählen? Welche Rolle spielt der Tourismus?


Unser Ort hat 28.000 Einwohner. Hauptschlüsselgewerbe ist der Tourismus, der wiederum zu einem großen Niedriglohnsektor führt, denn im Hotel- und Gaststättengewerbe werden keine exorbitanten Löhne gezahlt. Viele Seniorinnen und Senioren kommen aus der Zeit, wo der Tourismus florierte, aber nicht auf die Renten aufgepasst wurde. Wir sind deshalb durchaus auch mit Altersarmut konfrontiert.


Wie ist die Wohnsituation für die Garmisch-Partenkirchener?


Aufgrund unserer außergewöhnlich schönen Lage sind wir ein begehrter Standort mit sehr hohen Grundstückspreisen. In Garmisch-Partenkirchen haben wir viele Ferienimmobilien. Das ist Wohnraum, der für teures Geld erworben wird und dann den Großteil des Jahres leer steht. Das können wir niemandem verbieten, aber diese Wohnungen werden dem Mietmarkt entzogen. Daraus ergeben sich extrem teure Mieten, die kaum einer mehr bezahlen kann. Wir hätten Wohnraum genug, aber wir haben kein Werkzeug, mit dem wir der Dynamik entgegensteuern könnten. Mit dem Projekt „Altes Finanzamt“ konnten sie 24 günstige Wohnungen für 33 Senioren bereitstellen. Dahinter steht eine einzigartige Geschichte, denn finanziert wurde das Projekt durch eine Stiftung: die LongLeif der ­Familie Leifheit. Wie kam es dazu? Das Ehepaar hatte in Garmisch-Partenkirchen seinen Zweitwohnsitz – und hat sich hier sehr wohl gefühlt. Sie haben der Marktgemeinde über eine gemeinnützige Stiftung nach schweizerischem Recht 57 Millionen Euro vermacht, mit der Auflage, dass die Gelder für Senioren eingesetzt werden.


Wie konkret waren denn die Verwendungsvorschriften durch die Stiftung?


Das war für uns die eigentlich größte Herausforderung, denn der Stiftungszweck war weit gefasst. Die Forderungen lauteten: Erstens werden Seniorinnen und Senioren adressiert, zweitens kommen die aus Garmisch-Partenkirchen und drittens bewegen die Projekte sich im Bereich der Wissenschaft oder Pflege oder beinhalten die Errichtung von Seniorenheimen und -wohnungen. Das hört sich erst einmal nach einem weiten Feld an, war dann aber in der Umsetzung durchaus eng. Wir haben uns permanent gefragt: Ist das, was wir planen, im Sinne der Eheleute Leifheit?

Denkmalgeschützte Häuser sind für eine Gemeinde identitätsstiftend, aber bei der Sanierung eine Herausforderung. Neben der Renovierung des Baubestands musste das Alte Finanzamt energetisch überholt werden, die technische Ausstattung wurde zeitgemäß angepasst und als ein öffentliches Gebäude war ein Ziel beim Umbau auch die Barrierefreiheit. Foto: Josef Ostler
Foto: Sebastian Schels

Wie sind Sie dann vorgegangen?


Wir haben aus dem Gemeinderat heraus einen Expertenrat gegründet, mit einem Leitspruch von Günther Leifheit als Maßstab: Es muss dem Menschen dienen. 57 Millionen hören sich natürlich toll an – aber sie bedeuten auch eine große Verantwortung. Wir haben viel diskutiert und dann mit den Geldern das Alte Finanzamt erworben. Es steht neben dem Alten Zollhaus, einem 700 Quadratmeter großen Grundstück, das der Marktgemeinde bereits gehörte. Das Finanzamt wurde restauriert und beherbergt heute eine Drehscheibe für die Senioren. Auf dem Gelände des Alten Zollhauses wurde neuer Wohnraum für das selbstbestimmte Leben geschaffen, inklusive einem Wohncafé, in dem sich die Bewohner treffen oder auch Besuch empfangen können. Es geht bei dem ganzen Projekt aber nicht um die Pflege: Wir haben hier rollstuhlgerechte, barrierefreie und einkommensgeförderte Wohnungen für teils finanzschwache Seniorinnen und Senioren.


Wer durfte in die Wohnungen einziehen?


Wir hatten sehr viele Bewerbungen. Bevorzugt wurden Bürger aus der Marktgemeinde. Ein weiteres Kriterium war, dass sie aus einkommensschwachen Verhältnissen kamen. Und dann haben wir uns auch angeschaut, wie sich die Bewerber für den Ort und die Allgemeinheit eingebracht haben. Viele haben sich ihr Leben lang sozial engagiert. Eine Mieterin etwa hat ihre schwerbehinderte Tochter bis zu ihrem Tod gepflegt und erhielt dann die Möglichkeit, hier eine Wohnung zu beziehen – in einer Lage, die sonst kaum zu bezahlen wäre.


Wo stehen das Alte Finanzamt und der Wohnneubau?


Das ist das Schöne und auch Einzigartige an dem Projekt: Es liegt mitten im Ort, direkt an der Fußgängerzone, direkt neben dem Kurpark, direkt am ÖPNV, direkt neben Supermärkten. Durch die großen Fenster schauen die Mieter quasi direkt in die Stadt, sie können zu Fuß in den Kurpark, wo im Sommer jeden Tag ein anderes Konzert stattfindet. Sie können in die Fußgängerzone, mal auf einer Bank sitzen oder in die Eisdiele gehen. Die Menschen können hier „dabei sein“. Für viele ging das jahrelang nicht, weil viele der Sozialwohnungen ganz weit am Ortsende liegen.

Foto: Sebastian Schels

Wie haben Sie sich für die Nutzung als Senioren-Standort entschieden?


Das Alte Finanzamt stand unter Denkmalschutz und durch die baulichen Voraussetzungen war klar, dass Wohnen hier nicht möglich ist. In das Gebäude mussten also wieder Büros einziehen. Ganz klar war aber, dass auf dem Gelände daneben Wohnen stattfinden würde.


Wurden die Bürger in den Planungsprozess miteinbezogen?


Einen Bürgerbeteiligungsprozess haben wir in dem Fall nicht gemacht, weil er gar nicht notwendig war. Es stand von Anfang an außer Frage, dass die Idee, hier Wohnraum zu schaffen, passend ist und von der Bevölkerung mitgetragen wird. Die Bürger wünschen sich ja mehr Wohnraum. Nur müssen wir als Gemeinde in der Regel sagen: Gebt uns Grundstücke, dann bauen wir.


Warum ist es so schwierig, in Garmisch-Partenkirchen neuen Wohnraum zu schaffen?


Die Kommune darf nur nach Gutachtenspreis erwerben. Und in Garmisch-Partenkirchen wird schon seit Jahren kein einziges Grundstück mehr nach Gutachtenspreis verkauft, sondern wesentlich darüber. Beim Alten Zollhaus, wo heute das Wohngebäude steht, hatte die Gemeinde Vorkaufsrecht, dadurch war es vergleichs­weise günstig. Beim Alten Finanzamt war das leider nicht so, da hat dann die Stiftung den Kauf ermöglicht.


Was können Sie aus dem Projekt für die Zukunft ableiten?


Wenn heute ein Neubau entsteht, dann muss er grund­sätzlich bezüglich seiner energetischen Versorgung überdacht werden. Und eine weitere Selbstverständ­lichkeit ist die Barrierefreiheit. Und ich halte die einkommensgeförderte Wohnbauerrichtung für ideal – weil sie zu mehr Gerechtigkeit in der Verteilung führt.


Foto: Sebastian Schels

Wie funktioniert das in der Praxis?


Bei der LongLeif hat das über einen Wohnberechtigungsschein funktioniert. Er weist die Einkommenssituation aus und wird von Sozialträgern ausgestellt. Auf Grundlage des Einkommens eines Alleinstehenden oder Paares wird der Quadratmeterpreis der Miete für den Haushalt festgelegt. Das halte ich für gerecht.


Das Projekt wurde im April 2023 frisch bezogen. Wie haben sich denn die Menschen eingelebt?


Für viele beginnt hier ein neues Leben mit einer neuen Dynamik. Eine Bewohnerin etwa, der ein Fuß abgenommen werden musste, konnte in ihrer alten Wohnung das Haus kaum verlassen, weil das Gebäude nicht barrierefrei war. Heute fährt sie mit ihrem Elektrorollstuhl selbstständig mit dem Aufzug direkt in den Innenhof und kann in den Kurpark. Es gibt auch ein Quartiersmanagement, das mit den Bewohnern und Bewohnerinnen die Gemeinschaft organisiert, vom gemeinsamen Kuchenbacken bis zum Treffen im Garten.

Am Alten Finanzamt wurde nicht nur Wohnen geschaffen, sondern auch eine Gemeinschaft.


Foto: Quirin Leppert

Architektur


Das denkmalgerecht sanierte Alte Finanzamt mit seinem ­Senio­renzentrum und der Wohnkomplex auf dem ­Gelände des Alten Zollhauses wurden von H2M Architekten aus München/Kulmbach entworfen. Der Vorteil des Projektes – die ­zentrale Lage – war für die Planenden gleichzeitig auch die größte ­Herausforderung.

„Das Grundstück mitten in der Altstadt ist sehr klein, gleichzeitig sollten hier so viele Wohnungen wie möglich entstehen. Und das Alte Finanzamt ist ein tolles Denkmal, setzt aber auch Maßstäbe für die Gestaltung einer Nach­bar­archi­tektur“, erzählt die Projektleiterin Gabriele Bruckmayer.

H2M plante als schlüssige Ergänzung einen zweiten Solitär, der sich polygonal in das Grundstück einschmiegt. Dazwischen entsteht ein Gemeinschaftshof, der zum Treffpunkt für die Bewohner und Bürger wird. Die Wohnungen selbst holen die Qualität der Lage von Garmisch-Partenkirchen außerdem in den Innenraum. „Unsere Idee war, dass das Gebäude keine Vorder- und Rückseite hat. Aus allen Wohnungen und von den Balkonen hat man einen tollen Ausblick auf die rund um die Gemeinde liegenden Berge.“