enkeltauglich
Die Menschen hinter der Landlmühle: Rudolf Finsterwalder und Maria José Finsterwalder da Silva

Wie sähe ein Dorf aus, wenn wir es heute gestalten würden?

Die Architekten Finsterwalder haben auf dem Gelände der Landlmühle ihre Vision in die Realität ­geholt. Mit selbst erzeugter Energie, Gemüse aus der solidarischen Landwirtschaft und nachhaltiger Architektur setzt die Landlmühle auf geschlossene Kreisläufe – und ist ein Pionierprojekt für nachhaltiges Zusammenleben in der Zukunft.

Rudolf Finsterwalder kommt aus Rosenheim, Maria José Finsterwalder da Silva Araújo wächst in Porto in Portugal auf. Zum Studium zieht sie nach Deutschland, ausgerechnet in die kleine Stadt Rosenheim zwischen München und den Alpen. An der FH im Fachbereich Innenarchitektur lernen die beiden sich kennen. Als der Mauerfall das ganze Land verändert, gehen sie gemeinsam nach Berlin. Nicht nur, um an der TU ein Architekturstudium draufzusetzen, sondern auch, weil sich in der ­ungeteilten Hauptstadt einzigartige Chancen bieten.

“Das war die schönste Zeit fürs Leben und Nachtleben. Das wird es so nie wieder geben auf der Welt”, erinnert sich Rudolf Finsterwalder. Besonders die Architekturszene ist von Umbruch, Abbruch und der Neustrukturierung bestimmt. Eigentlich muss die ganze Stadt neu gedacht und gebaut werden. Projekträume, Galerieräume und Wohnräume sind günstig. Die Geldgeber kommen mit vollen Taschen. „­Einmal kam ein junger Investor zu uns, der sagte, er hätte da 500 Millionen, die angelegt werden müssten, er suche ein Projekt. Damals herrschte bei den Entwicklern Goldgräberstimmung“, erinnert sich Rudolf Finsterwalder. Berlin, das war für die Finsterwalders eine kreative Spielwiese, mit vielen Gleichgesinnten in der Kunst- und Kreativszene.

Raum für Visionen

Die beiden jungen Architekten arbeiten bei den großen Namen: Max Dudler, Alvaro Siza, Ortner & Ortner. Im Jahr 2000 gründen sie mit Finsterwalder Architekten ihr eigenes Büro.

Bis eines Tages eine Nachricht aus der Rosenheimer Heimat kommt und sie vor eine wichtige Entscheidung stellt: Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2002 braucht die Landlmühle, die seit 150 Jahren der Familie gehört, eine neue Leitung. Es ist ein weitläufiges Gelände mit so vielen Gebäuden und Nutzungen, dass es lange als eigenständiges Dorf galt und die Gemeinde Stephanskirchen Landlmühle als eigenen Ortsteil führt. Rudolf und Maria Finsterwalder sehen den Freiraum, den Bestand, die alten Gemäuer voller Geschichte und das Potenzial für die Zukunft.

Aber auch ihr Leben in Berlin mit mittlerweile zwei Kindern, ihr Netzwerk und die urbane Kultur. Berlin verlassen? Lieber nicht. Die Landlmühle aufgeben? Kommt nicht infrage. Für einige Zeit versuchen die Finsterwalders ihr Leben zwischen Berlin und Stephanskirchen aufzuteilen. Ein paar Tage im Monat geht es zur Mühle, um Umbauten und Renovierungen voranzutreiben und Organisatorisches zu erledigen, dann kehren sie nach Berlin zurück.

Dorf sucht Bewohner

Die Finsterwalders stellen sich vor, aus der Landlmühle mit ihrem historischen Charakter, dem Altbau-Charme und dem zugehörigen Land einen Ort zum Zusammenleben und Zusammenarbeiten, zum gemeinsam Gestalten und gemeinsam Beleben zu machen. Aber sie stellen schnell fest, dass die Bayern anders ticken als die Berliner. Während die Idee des Kollektivs in der Hauptstadt überall verstanden wird, wollen die Menschen im Süden lieber etwas für sich allein. Die Finsterwalders finden vorerst keine Komplizen. „Wir haben uns eine blutige Nase geholt“, beschreibt Rudolf Finsterwalder die Zeit. Aber die beiden geben nicht auf, sie halten an ihrer Vision fest – und an ihrem Grundsatz, sich auf nichts und niemanden einzulassen, der nicht zu ihren Vorstellungen passt. Wie die Industrie-Wäscherei, die einen Standort sucht, oder der Möbelladen, der stilistisch ganz und gar nicht in die Architekten-Welt passt. Die Finsterwalder sagen immer wieder Nein. „Im Nachhinein können wir sagen: Es war sehr klug, dass wir gewartet haben“.

Ein neuer Impuls für die Landlmühle kommt mit dem Angebot, auf dem Gelände eine Kletterhalle zu errichten. Mit diesem ersten Neubau setzen die Finsterwalders die Parameter für die weiteren Entwicklungen. Sie wollen, dass nachhaltig gebaut wird, mit Holz aus der Region, mit lokalen Handwerkern, mit architektonischem Anspruch und mit den richtigen Partnern. Als Eigentümer des Geländes haben sie die Entscheidungshoheit: Was wird gebaut, wie wird gebaut und wer baut? Und als Architekten haben sie gleichzeitig die Fähigkeiten, die Planung und Gestaltung selbst zu übernehmen. „Anders als für Investoren war für uns die wirtschaftliche Bilanz erst einmal nicht so wichtig. Unsere Motivation für die Landlmühle war immer, hier einen Ort zu schaffen, an dem wir selbst gern leben“, sagt Rudolf Finsterwalder. Deswegen wollen sie selbst mittendrin sein und sind seit 2006 dauerhafte Landlmühlen-Bewohner.

Geplant wird nach Bedarf

Wer heute auf die Landlmühle kommt, etwa für den wöchentlich stattfindenden Regionalmarkt, der landet in einem spannungsvollen Ensemble aus progressiven Neubauten und sensibel umgenutzten Altbauten, in denen gewohnt, gearbeitet und gelebt wird. Neue Architekturen haben die Finsterwalders mit ihrem auf ökologischen Holzbau spezialisierten Architekturbüro umgesetzt. Häuser wie das energieeffiziente und kostengünstige Smarthaus oder das Gebäude-Duo namens Ginger und Fred, das mit verkippter Geometrie auch als Landmarke für die Landlmühle funktioniert, sind immer auch angewandte Architekturforschung. Der Impuls für den Bau ergab sich meist aus aktuellen Anforderungen. Ginger und Fred beispielsweise wurden geplant, als der Metzger der Landlmühlen-Metzgerei eine Wohnung suchte – und nicht pendeln wollte.

Das Gelände der Landlmühle hat sich nicht von heute auf morgen entwickelt und es entstand und entsteht nicht am Reißbrett. Die Gemeinschaft wächst dynamisch und natürlich, Synergien entstehen. Nutzungen und Menschen kommen hinzu. Was sich bewährt und gut funktioniert, das bleibt. „Was braucht ein Dorf, damit es heute als Lebens- und als Wirtschaftsort funktionieren kann?“, fragen sich die Finsterwalders. Ihre Antwort, die gleichzeitig zu ihrem Motto geworden ist: „Zurück in die Zukunft“. Die Landlmühle orientiert sich an der Struktur eines natürlich gewachsenen Ortes und kombiniert sie mit einem modernen Angebot. Ihr Dorf ist ein Mikrokosmos, der als geschlossener Kreislauf funktioniert und der die hier lebenden Menschen so gut mit allem Notwendigen und der gewünschten Infrastruktur versorgt. Mit der Konsequenz, dass sie die Landlmühle nur selten verlassen müssen.

Zum Yoga auf die Wiesn und die Tenne

Die heutige Bevölkerung auf dem Land hat Ansprüche an ihre Dörfer, die über Metzger, Bäcker und Tante-Emma-Laden hinausgehen. Kinderversorgung, Freizeitangebote wie Yoga und Kletterhalle, eine Bar und Co-Working Spaces gehören deshalb zum Gelände der Landlmühle. Der Markt holt die Lebensmittelversorgung und Gäste in den Ort. Die landwirtschaftlichen Flächen mit zwei Hektar solidarischer Landwirtschaft, die Obst und Gemüse in Permakultur anbaut, sowie fünf Hektar Weide tragen zur Grundversorgung bei. Sogar der Strom wird auf dem Gelände erzeugt. Dafür wurde die alte Turbine der Mühle modernisiert – und versorgt heute insgesamt 300 Haushalte. Es ist ein Konzept, das mit seiner zirkulären Wirtschaftsweise die Zukunft mitdenkt. Als enkeltauglich beschreiben das die Finsterwalders. Sie sind von Architekten zu Generalunternehmern geworden, die Verhandlungen führen, Bauanträge stellen, als Vermieter fungieren und Vorträge halten. Die Landlmühle ist ein Lebensprojekt. „Es gibt Menschen, die denken vielleicht, dass dumm ist, was wir hier machen. Wir hätten schließlich das Gelände mit Wohnbebauung zupflastern und auf die Bahamas gehen können“, lacht Rudolf Finsterwalder. „Aber das wäre für uns ein unerfülltes Leben.“

 

Kultur aufs Dorf

Kann es Orte wie die Landlmühle also nur geben, wenn es Menschen wie Maria und Rudolf Finsterwalder gibt? Mittlerweile werden die Finsterwalders immer wieder von Gemeinden angesprochen, die beeindruckt sind von der alternativen Struktur des Geländes und seiner sozialen Dynamik. Auch sie hätten gern etwas mehr Landlmühlen-Atmosphäre.

Rudolf Finsterwalder sieht ein Problem darin, dass die Planungen von Gemeinden vorab am Schreibtisch entstehen und meistens das Produkt eines gemein­samen Nenners sind. Die Landlmühle profitiert davon, dass die Finsterwalders mit viel Engagement und ohne Kompromisse ihre Vision verfolgt haben, auch gegen Widerstände. „Die Gemeinden müssten an den Punkt kommen, wo sie nicht mehr mit 20 Leuten im Gemeinderat etwas entscheiden, dass dann womöglich nach der nächsten Wahl von 20 anderen Menschen wieder umgeworfen wird. Sie müssten einem Planenden vertrauen und auch Verantwortung übergeben. Dann könnte er eine Vision langfristig entwickeln und umsetzten.“

Bei den Finsterwalders in der Landlmühle bedeutet langfristig mindestens lebenslang. Als Nächstes planen sie eine Bio-Bäckerei, ein vegetarisches Restaurant und die Modernisierung der alten Tenne, die zu einer Veranstaltungshalle werden könnte. Dann könnte es in der Landlmühle auch größere Kinoabende oder kleine Konzerte geben. Denn auch und gerade auf dem Dorf wollen die Bewohner abends etwas miteinander erleben. Rudolf Finsterwalder, der einst auch wegen der Clubkultur nach Berlin gezogen ist, weiß, dass ein Kulturangebot auch sozialer Klebstoff für die Gemeinschaft ist.