Ein Ort in Oberbayern beweist, dass ein Supermarkt nicht sein muss wie ein Supermarkt.

Bürgermeister Wöhr holt gerne die Sonntagssemmeln und Baguettes.

Der Klosteranger und das Kloster aus dem 12. Jahrhundert im kleinen Ort Weyarn sind nach Umbau und ­Sanierung heute Mittelpunkt eines lebenswerten neuen Quartiers. Sieben Mehrgenerationenhäuser sowie 45 Rei­hen- und Doppelhäuser ermöglichen ein lebendiges Miteinander von Jung & Alt. Ein autofreier Grünraum verbindet Gemeinschaftsflächen wie z. B. eine Streuobstwiese, einen Generationengarten, Treffpunkte unter Bäumen, Kinderspielplätze oder eine Boulebahn. Wichtiger Teil der Planung war außerdem ein neuer Supermarkt, fußläufig in der Nähe, der als Vollsortimenter der Versorgung der alteingesessenen Weyarner und der neuen Bewohner des Klosterangers dienen sollte.  

Für den Markt galten dieselben architektonischen Regeln wie für die Bebauung des Klosterangers: Baumaterialien aus der Region, eine hohe Nachhaltigkeit und der Anschluss an ein regionales Hackschnitzelwerk zur Energieversorgung. Dazu kommt der Mut zu einer Gestaltung, die sich bewusst von einem „normalen“ Supermarkt unterscheidet.  

Nähert man sich von der Autobahn, fällt der Markt kaum auf, so geschickt integriert er sich in die Landschaft. Und von der Rückseite, von Süden her, ist er praktisch unsichtbar: Statt hinter einer hässlichen Zweckbauten-Fassade verbirgt er sich unter einem begrünten künstlichen Hügel. Nicht wenige Kinder aus Weyarn erproben sich hier zum ersten Mal auf ihren Skiern, außerdem wird der Hügel begeistert zum Schlittenfahren oder Radlfahren benutzt. Gleichzeitig funktioniert er als Lärmschutz für die Lkw, die den Markt beliefern und das jetzt sozusagen „unterirdisch“ tun.

„Der Markt dient einer nachhaltigen Stärkung der Nahversorgung der Region. Wichtig war es, die perfekte Stelle für ihn auszusuchen“, so der Weyarner Bürgermeister, Leonhard Wöhr. „Nämlich direkt am Kreisel der Staatsstraße. So dass er nicht nur zu Fuß von den Bürgern aus der Ortsmitte erreicht werden kann, sondern auch gut angebunden ist an die Nachbargemeinden.“ Die Standortfrage war auch deshalb entscheidend, weil der Supermarkt durch seine Lage dazu beitragen sollte, die Ortsmitte Weyarns als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens zu stärken, und da gehört Einkaufen nun einmal dazu. Supermärkte oder Einkaufszentren irgendwo an der Peripherie haben einen großen Nachteil: die Zentren veröden, der sogenannte „Donut-Effekt“. In Weyarn sollte das Gegenteil erreicht werden, der „Krapfen-Effekt“: eine Ortsmitte voller Leben.

„Es war außerdem eine besondere Herausforderung, den Markt in den Klosteranger zu integrieren. Und man sollte die Kirche noch sehen.“ ­Apropos Kirche: Am Sonntag steht der Supermarkt­parkplatz selbstverständlich allen Gottesdienstbesuchern zur Verfügung. Für Bürgermeister Wöhr ein Zeichen dafür, dass der Markt in den fünf Jahren seines Bestehens gut von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wurde. Auch die Gestaltung wurde allgemein für gut befunden, was zu der Frage führt: Was denken denn die anderen Bürgermeister in der Umgebung? Sind sie möglicherweise neidisch auf das ­gelungene Projekt?

„Wir sind jetzt der neue Dorfladen.
Sozusagen der Dorfladen 2.0!“

„Ich will mal so sagen“ – Bürgermeister Wöhr antwortet ­diplomatisch –: „Es gibt viele, die Gefühle äußern.“ Alles andere hätte uns auch gewundert.

Marktleiter Stefan Odenbach jedenfalls kann sich keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen. „Ich hatte Glück“, sagt er. „Als der neue Supermarkt ausgeschrieben wurde, habe ich mich sofort beworben und am Ende die Ausschreibung gewonnen.“ Er freut sich jeden Tag über die gelungene Architektur, die seinen Kunden ein ganz besonderes Einkaufserlebnis bietet. „Es ist jetzt nicht so, dass die Menschen deshalb mehr oder anders einkaufen“, sagt er, „aber es macht sich trotzdem bemerkbar“. Und auch er schwärmt von der Lage: „Bei uns kauft der ganze Ort, aber mittlerweile kennt man uns darüber hinaus, viele unserer Kunden kommen von außerhalb. Auch viele Touristen, wir sind ja im Prinzip an der Hauptstraße zum Schliersee.“ Wenn möglich, setzt Stefan Odenbach auf regionale Produkte. „Wir sind zu einhundertprozentig selbstständig und haben den großen Vorteil, dass wir mit vielen regionalen ­Lieferanten sprechen und die Konditionen verhandeln können, um sie dann mit ins Sortiment zu nehmen“. Außerdem unterstützt ­Stefan Odenbach die freiwillige Feuerwehr, ­Vereine und Firmen aus der Region, den Kindergarten und den Tennisverein. Kein Wunder, dass der Markt mittlerweile bestens in das Ortsleben eingebunden ist. Stolz erzählt er, wie er zum Geschäftsstart vom Bürgermeister das Schild des ­alten Dorfladens überreicht bekam, den der neue Markt ersetzen sollte. „Wir sind jetzt der neue Dorfladen. Sozusagen der Dorfladen 2.0!“

Bleibt nur noch eine letzte Frage an Bürgermeister Wöhr. Ist er denn selbst schon mal mit dem Schlitten den Supermarkthügel hinuntergesaust? „Das nicht“, sagt er lachend. „Vielleicht probiere ich es einmal mit meinem Radl, wie die Kinder!“