brutal lokal

Im Rhythmus der Natur – Die neue „Stubn“ in den Chiemgauer Alpen

Foto: Lukas Freitag


Auf Schutzhütten kommen Wanderer traditionell zum Schlafen und freuen sich, wenn es noch eine Brotzeit gibt. Die Fras­dorfer Hütte in den Chiemgauer Alpen hat das Konzept auf den Kopf gestellt: Die Gäste kommen für das Essen und bleiben auch mal über Nacht. Das liegt an dem nicht unbekannten Küchenchef Maxi­mi­lian Müller und seiner Alpen­küche, aber auch an den urig-modern ein­ge­richteten Zim­mern.

 


 

Bei der „Stubn“ können die Gäste nicht ­einfach vorfahren. Sie müssen sich das Essen quasi verdienen, durch eine kleine Wanderung. Was nach einer Herausforderung für einen Restaurant­besuch klingt, ist eigentlich sein magischer Auftakt. Denn ob winters oder sommers, mittags oder abends, bei Wind, Schnee, Sonne, Nebel oder Niesel – nach dem etwa einstündigen Aufstieg über gut 300 Höhenmeter bringen die Gäste die vor der Hütte liegende Natur schon mal mit. Sie haben die Kühe grasen sehen, die Wiesen und die Kräuter gerochen, vielleicht das ­Panorama bewundert. Die Frasdorfer Hütte liegt auf 945 Metern in den Chiemgauer Alpen, mitten im Grünen und doch nur eine Fahrstunde von München entfernt. Erbaut wurde die „Frasi“ 1937. Von 2019 bis 2022 wurde die historische Schutzhütte nach Plänen des auf Bauen im Bestand speziali­sierten Architekten Philipp Möller behutsam renoviert. Die Fassade hat ein paar neue Lärchenschindeln bekommen und auf dem Dach sitzt eine Solar­an­lage. Komplett überholt wurde aber vor allem das ­Innenleben. Wichtig war den Betreibern innen wie außen die Zusammenarbeit mit lokalen Hand­werkern, der Einsatz ­regionaler Ressourcen – und der Erhalt im Sinne der traditionellen Baukultur. Der Restaurantbetrieb heißt jetzt Stubn, statt Schlafsaal gibt es Doppel- und Familienzimmer und der wichtigste Grund, warum die Menschen die Hütte besuchen, ist das Essen.

 


 

Foto: Carina Pilz
Foto: Carina Pilz

 

Aus Kreuzberg in die Alpen


Verantwortlich für die Küche ist Maximilian Müller. Müller ist in der Region aufgewachsen – und wollte genau deshalb einst weg von hier. Weg vom Land und irgendwohin, wo etwas passiert. Wie Berlin. Hier arbeitete er zuletzt zwei Jahre als Sous-chef im „Nobelhart & Schmutzig“, einem Restaurant, das mit seinem kulinarischen Konzept selbst in der abgeklärten Kreuzberger Gastro-Szene noch Furore machen konnte. „Brutal lokal“ beschreibt das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant seine Haltung zu den Produkten auf den Tellern. Es wird nur mit dem gekocht, was aus dem Berliner Umland kommt. Müller ist im „Nobelhart & Schmutzig“ verantwortlich dafür, ein Netzwerk aus Bauern und Produzenten aufzubauen, Vergessenes und Übersehenes aufzuspüren und exzellente Qualität zu erkennen. Eines Abends ist Ludwig Kramer-Klett zu Gast, selbst Gastronom in der Hauptstadt und kulinarischer Avantgardist. In seinen Restaurants „Katz Orange“ und „Oh Panama“ wird nach dem farm-to-table-Prinzip gekocht. Cramer-Klett hat damals aber auch schon die nächste Vision im Gepäck: Er will aus der Frasdorfer Hütte, die ebenso wie die umliegenden Wiesen seiner Familie gehört, eine richtig gute bewirtete Hütte machen. Mit Müller, der die Region kennt, als Küchenchef. Müller sagt zu.

 

Im Rhythmus der Natur

 

Seitdem lebt Maximilian Müller wieder auf dem Land. Auch hier sucht er jetzt rund um die Stubn nach den besten lokalen Produkten. Mit dem Umzug aber haben sich seine Ressourcen verändert. „Brandenburg ist ja quasi Wüste. In den Stubn kochen wir Alpenküche, inspiriert von Rezepten aus Slowenien, Österreich und Frankreich. Man muss sich den Chiemsee und die vorgelagerten Berge ja nur ansehen, um zu verstehen, was für einen Schatz wir hier haben.“ Einige der Produkte kommen aus den Betrieben der Familie Cramer-Klett und von Bauern aus der Umgebung. Aber auf dem Hüttenland stehen auch ein paar eigene Kühe, in zwei Hochbeeten wächst selbst angepflanztes Gemüse. Mit einigen Produzenten hat die Stubn den Anbau bestimmter Pflanzen gemäß des regionalen Kalenders und Vorkommens geplant, besonders gern geht Müller in den Wald. Hier sammelt er mit seinem Team Blüten, Knospen oder Holz, aus dem Auszüge hergestellt werden.


Vergessenes
und Über­-
sehenes auf-
spüren und
exzellente
Qualität
­erkennen.

Foto: Carina Pilz
Foto links: Carina Pilz / Foto rechts: Daniel Breidt
Foto: Daniel Breidt

Man muss sich
den Chiemsee
und die
vorgelagerten
­Berge ja nur ansehen,
um zu verstehen,
was für einen Schatz
wir hier haben.

Foto: Esther Meinel Zottl

 

So ursprünglich wie die Zutatenliste ist in der Stubn auch die Zubereitung der Produkte. Die Feuerstelle spielt in der Küche eine Hauptrolle, in der Stubn wird gegrillt und geräuchert. Dabei versteckt Müller sich nicht hinter Wänden – der kulinarische Werkraum ist Teil des Gastraums und der Holzofen einseitig verglast, so dass die Gäste die Handgriffe der Koch-Crew verfolgen können.

 

Von Nachbars Kuh und aus dem eigenen Garten

 

Das Neue und Überraschende des Menüs entsteht aus der sensiblen Kombination der ausgezeichneten Zutaten. Diese Haltung gegenüber den Dingen spiegelt sich im Interieur. Es stammt aus der Feder von Nora Witzigmann. Sie ist eine der renommiertesten deutschen Innenarchitektinnen, die es immer wieder schafft, aus Hotels und Restaurants charakterstarke Ort zu machen. Die Stubn hat sie so inszeniert, wie sich der aus der urbanen Hektik kommende Gast eine „Stubn“ vorstellt. Hüttenromantik. Heimeligkeit. Lagerfeuermomente. Holzbänke. Aber: Kein Alpenkitsch. Stattdessen: Ehrliche Materialien. Traditionell ist das Leben in den Bergen asketisch. Die Besinnung auf das Wesentliche findet sich auch in den Räumen der Stubn, im Gastraum wie in den Gästezimmern. Sie sind von unbehandeltem Holz dominiert; mal sind es alte Balken, dann wieder die neuen Einbauten, wie die langen, auch übers Eck laufenden Bänke oder das Mobiliar, wie die schweren Tische mit dicken Beinen. Hier und da bricht ein Quadrat der alten Steinmauer durch die weiß verputzten Wände. Die Lichtinszenierung macht das, was Licht im besten Fall tun sollte: Es fällt nicht auf, aber schafft Atmosphäre.

In den Stubn geht es eben nicht nur ums Essen, es geht auch um gemeinsame Momente. Die sich zwischen denen ergeben, die sowieso schon miteinander hergekommen sind, aber vielleicht, mit fortschreitendem Abend, mit den zuvor Fremden. Nach dem Abendessen geht es in die gemütlichen Gästezimmer, die Luxus nicht unter goldenen Was­serhähnen verstehen, sondern im Urgemütlichen verankern. Sie zitieren die Bergfolklore mit einfachen Waschschüsseln und Melkschemeln, gewebten Textilien und historischen Zeichnungen.

Foto: Carina Pilz
Foto: Daniel Breidt

 

Die Farben der Wände und des von ortsansässigen Handwerkern auf Maß geschreinerten Interieurs geben sich pudrig, von Kieselgrün bis zu einem erdigen Bordeaux. Der Morgen wird durch die großen Fenster begrüßt – denn die beste Tapete ist hier schließlich die Natur.

 

Wo sich Stadt und Land gute Nacht sagen


Das neue Treiben auf der Frasdorfer Hütte – samt neuem Koch – wurde von der lokalen Bevölkerung erst einmal kritisch beäugt. Berlin Kreuzberg, Hipster-Küche, Michelin-Sterne. Was will der auf dem Berg? Aus seiner Anfangszeit, als das Restaurant noch im Umbau war und er schon vor Ort, hat Müller einige lustige Geschichten parat. „Einmal war ich in den Bergen wandern und habe eine Frau aus dem Dorf getroffen. Wir gingen ein Stück gemeinsam und plauderten. Ob ich gehört hätte, was da auf die Hüttn kommt?, fragte sie. Ich habe mir dann jede Menge Vorbehalte dem „Berliner Sternekoch“ gegenüber angehört. Dann habe ich geschmunzelt und gesagt: 'Woast was? Der Berliner Sternekoch – des bin i.' Dass der Berliner Sternekoch Dialekt spricht und eigentlich von hier stammt – damit hatte sie nicht gerechnet.“ Einige Landbewohner haben Vorbehalte, wenn sie hören, dass eine Handvoll Großstädter auf „ihren Bergen“ Unternehmungen plant. Ist da Achtung vor der Tradition und der Natur? Wollen die Neuen das Landleben nur konsumieren und nichts von Wert zurückgeben? Projekte wie die Stubn, die ganz bewusst die lokale Struktur einbeziehen und Netzwerke etablieren, die rurale Wirtschaft und Landwirtschaft fördern, zeigen, dass es gut gehen kann, wenn der Respekt da ist. Menschen wie Maximilian Müller sind wieder bereit fürs Land – und das Land durchaus bereit für ihre Ideen.


Kein
Alpenkitsch.
Stattdessen:
ehrliche
Materialien.