Tannenhof 2.0 – Quartier der Zukunft

Was passiert, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Gestaltung und Bauplanung ihrer Gemeinde mitbestimmen können?

Im kleinen Bad Feilnbach, das am Fuße des Wendelsteins liegt, hat man in einem Bürger­betei­ligungs­verfahren die ­Einwohnerinnen und Einwohner nach ihren Wünschen gefragt – und dann das junge Architekturbüro HKF aus ­Tegernsee mit der Umsetzung beauftragt.

Entstanden ist ein generationsübergreifendes Quartier mitten im ­Dorf –­­ ­inklusive „Bad Feilnbacher Wohnzimmer“ für alle Bürgerinnen und ­Bürger, „Bibliothek der guten Dinge“ und einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft.



Das neue Ensemble auf dem ehemaligen Grundstück des Tannenhofes liegt zentral im Ortskern von Bad Feilnbach. Ohne Autos, mit offener Durchwegung und einladenden Treffpunkten gibt es dem öffentlichen und nachbarschaftlichen Miteinander Raum, ermöglicht Austausch und Rückzug.


Mit lokalen Materialien und einer ortstypischen Bauweise geht das ganze Quartier sensibel auf den Bestand und auf die Wünsche der Bad Feilnbacher Bürgerinnen und Bürger ein. Dazu gehören die Holzfassaden und die einheitlich hohe Dachlandschaft, die einen freien Blick auf den Wendelstein ermöglicht.


Das Bad im Ortsnamen hat die Gemeinde Bad Feilnbach den um­liegenden Mooren zu ver­danken, seinen guten Ruf als Kurort traditionellen Gasthäusern wie dem Tannenhof. Das „Schwar­ze Gold“ brachte konti­nuier­lich Kurgäste in den Ort, bis die Krankenkassen die Leistungen stark einschränkten und der Besucherstrom abbrach. Für viele Kurhotels, wie auch den Tannen­hof, bedeutete das das Aus. 2002 schloss das Haus, dann stand es brach, ­zuletzt wurde das im Ortskern gelegene Areal als Park­platz genutzt. Denn die Familien Stein­bichler und Schulz, die den Kurbetrieb einst geführt hatten, wollten sichergehen, dass an diesem für Bad Feilnbach so wichtigen Ort etwas Gutes ent­steht. Als Max von Bredow vor einigen Jahren mit der Idee für den neuen Tannenhof an sie herantrat, ließen sie sich über­zeugen. Teil seines Plans: Die Bürgerinnen und Bürger nach ihren ­Visionen fragen.

Die Bad
Feilnbacher
nach
ihren
Visionen

fragen



Ansicht vom alten Tannenhof
Das Moor in der Region um Bad Feilnbach am Wendelsteingebirge ist von hoher Qualität und wurde in den Kurhotels als Badetorf für die Moorbäder genutzt. Dazu wurde er aufbereitet, einmalig verwendet und schonend in die Natur zurückgeführt.


Karolin Knote, Markus Hölzl und Johannes Fischholz führen zusammen ein Architekturbüro am Tegernsee. Die Architekten sind Fürsprecher des alten, natürlich gewachsenen Dorfs. Nicht aus Romantik, sondern wegen ihrer emotionalen Qualität, den ­kollektiven Begegnungs­räu­men und dem narrativen Cha­rak­ter von Bautraditionen. Sie glauben fest daran, dass sich diese lang bewährten Qualitäten auf zeitgenössische Architektur­pro­jekte übertragen lassen. Mit HKF Architekten hat Quest einen kongenialen Partner für den neuen Tannenhof gefunden, der gemeinsam mit dem Wiener Büro nonconform auch den parti­zi­pa­tiven Prozess mit den Bürger­innen und Bürgern be­gleitet hat. „Wir haben mit verschiedenen Gruppen Work­shops veranstaltet, in denen in Brainstormings Ideen gesammelt wurden. Da waren Schulklassen dabei, Familien und auch die ältesten Anwohner. Am Ende haben wir dann ein Modell gebaut, in dem wir alle gefor­derten Funktionen auf dem Gelände positioniert haben.“

Der Wunsch-
katalog war
weniger
ausgefallen,
als mancher

von einem
so offenen
Prozess
erwartet hat



Das Tannenhof-Team von HKF Architekten

Markus Hölzl erzählt, dass sich viele vor allem einen einladenden Charakter und Aufenthalts­qua­li­tät gewünscht haben. „Da kamen keine wahn­witzigen Ideen, son­dern alles war recht boden­ständig. Für viele war wichtig, dass das Ge­lände ein angenehmer Durch­gangs­raum wird, weil man vielleicht auf der anderen Seite zum Supermarkt möchte. Gleich­zeitig hat man sich natür­liche Materialien wie Holz und einen an den lokalen Tra­ditionen orien­tierten Baustil gewünscht“. Aber es gab auch Erkenntnisse, die unerwartet waren. „Schüler haben uns er­zählt, dass sie eigentlich gern in ein Café gehen würden – sich die Getränke aber nicht leisten können. Sie wollten einen Raum, in dem sie nicht konsu­mieren müssen oder aus dem sie ver­scheucht werden“, erzählt Max von Bredow. „Den Blickwinkel hat man als Er­wachsener oft nicht mehr“.  Das Feedback der Schüler­innen und Schüler hat zu einem der wichtigsten Pfeiler des neuen Tannenhof geführt: einem Wohn­zimmer für alle.



Eine Feier, ein Nachbarschafts-Meeting, ein Spieleabend: Wenn die Menschen im Tannenhof zusammenkommen, können sie das „Bad Feilnbacher Wohnzimmer“ nutzen. Gewünscht haben sich den kollektiven Treffpunkt übrigens die Bürgerinnen und Bürger – das Wohnzimmer ist ein Ergebnis des Beteiligungsverfahrens.


Das großzügige „Bad Feilnbacher Wohnzimmer“ dient als zentraler und sozialer Treffpunkt, ist aber nicht der einzige kommunikative Raum. Weil die Garage unter­ir­disch angelegt wurde, sind die Autos aus dem Quartier ver­schwunden. Hochbeete, die gemeinschaftlich bepflanzt werden können, ergänzen den öffentlichen Raum und die privaten Gärten. Ratschbankerl laden zum Plausch ein und die „Bibliothek der guten Dinge“ ist die lokale Perspektive auf die Ökonomie des Teilens. Hier können die Bürgerinnen und Bürger Dinge zur Verfügung stellen und ausleihen, die sich nicht jeder selbst anschaffen möchte – wie eine Bohrmaschine oder ein Fondue-Set. Auch darin steckt ein Beitrag zur Wohn­qua­lität, weil es Stauraum spart.

Überhaupt ist der neue Tannenhof der Idee verpflichtet, dass ge­winnt, wer teilt: Ähnlich wie das gemeinschaftliche Wohn­zimmer lagern die beiden Büros des Geländes Funktions­fläche aus dem privaten Wohnraum aus. Kinder werden in der Tagesstätte betreut, eine ambulant betreute Wohn­ge­mein­schaft richtet sich an Menschen, die in ihrem Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Der Tannen­hof ist für alle da. Für Max von Bredow steht das Projekt exemplarisch für das Motto, das er sich mit Quest gesetzt hat. „Hier konnten wir verwirklichen, was wir unter besser bauen. besser leben. verstehen. Nicht einfach nur tolle Wohnungen, sondern ein lebendiges neues Quartier.“

Das
ganze
Quartier
ist
eine

Einladung



Heidrun Schulz mit ihrem Sohn Maximilian

Die
Gemeinde
musste
umdenken

Heidrun Schulz ist auf dem Tannenhof aufgewachsen, genauso wie ihr Sohn Maximilian. Bis zur Schließung arbeitete sie im Kurhotel. Sie erzählt vom Leben mit den Gästen, den Folgen der Gesundheits­reform und warum ihre Familie im Sinne des Ortes das Grund­stück nach der Schließung nicht an den Erstbietenden abgegeben hat.

Frau Schulz, wie war Ihre Kindheit auf dem Tannenhof?
Sehr unbeschwert. Ich war immer umgeben von Menschen, die nach mir gesehen und mit mir gespielt ­haben. Später habe ich in den Ferien in allen Abteilungen des Kurhotels gearbeitet.

Welche Bedeutung hatte der Tannenhof für Ihre Familie?
Er war unser Leben. Meine Groß­eltern haben das ­frühere Kurheim Ehrl 1962 gekauft, um­ge­baut und entsprechend erweitert. Um 1972 kamen Neu­bauten hinzu und wir hatten dann insgesamt etwa 100 Betten. Meine Mutter hat das Kurheim vorübergehend allein geführt, bis ich nach meinem Studium mit ­eingestiegen bin. Mein Sohn ist hier genauso aufgewachsen wie ich.

Woher kamen die Kurgäste?
Begonnen haben wir mit den Kriegsversehrten und Witwen, später wurden Verträge mit den Krankenkassen über Reha­maß­nahmen und vor­beu­gende Kuren zum Erhalt der Arbeitskraft geschlossen – das war die Hochzeit der Kuren. Unsere Gäste kamen aus ganz Deutschland.
 
Wie hart hat Sie und den ganzen Ort damals die Gesundheits­reform getroffen?
Überaus hart! Es gab die Ge­sundheitsreform in zwei Schritten – zuerst wurde das Inter­vall von einer Kur zur nächsten von drei auf vier Jahre ausgedehnt, zum anderen die Aufenthaltsdauer von vier auf drei Wochen gekürzt – das bedeutete einiges an Einbußen.

Und viele Gäste wollten keine Eigenleistungen ­zahlen. 2002 haben wir unser Haus ge­schlossen. ­Wegen der rück­läufigen Zahl an Kurgästen musste leider ein Geschäft nach dem anderen schließen – und die Auswirkungen haben dann auch alle Bewohner von Bad Feilnbach spürbar getroffen. Die ­Gemeinde musste umdenken: weg vom reinen Kurort, hin zu einem lebendigen, interessanten Ort für den ­„Alltags“-Urlauber. 
 
Wie kam es, dass Sie sich für eine Revitalisierung des Areals zusammen mit Quest entschlossen haben?
Meinen Eltern und Großeltern hat der Gedanke ­gefallen, dass hier etwas entsteht, von dem der Ort profitiert – es war ihnen sehr wichtig. Wir hätten das Grund­stück schon früher für eine Bebauung verkaufen können, aber sie waren an einer „reinen“ Bebau­ung, ohne dass auch Gemeindebürger etwas davon haben, nicht interessiert. Das Konzept von Quest hat ihnen sehr zugesagt. Es war eine gute Basis für eine neue Entwicklung.
 
Freuen Sie sich auf den Tannenhof 2.0?
Ja sehr – wir sind sehr gespannt, wie die Idee, die dahintersteckt, umgesetzt und dann auch gelebt wird – denn das hängt natürlich auch von den zukünftigen Bewohnern ab.